Brief an Außenministerin Baerbock wegen Israels Angriffen auf palästinensiche Menschenrechtsorganisationen

Frau

Bundesaußenministerin

Annalena Baerbock

Auswärtiges Amt

Werderscher Markt 1

10117 Berlin

29. August 2022



Betreff: Treffen des Assoziationsrates EUIsrael und Israels Angriffe auf palästinensiche Menschenrechtsorganisationen


Sehr geehrte Frau Ministerin,

am 18. August drangen israelische Besatzungstruppen in die Büros von 7 der
wichtigsten international anerkannten palästinensischen
Menschenrechtsorganisationen ein: Addameer – eine Vereinigung zur Unterstützung
von Gefangenen, Al Haq – eine Menschenrechtsorganisation, Bisan – ein
Forschungs- und Entwicklungszentrum für marginalisierte palästinensische
Gemeinschaften, Defense for Children International – Palestine, Union of Agricultural
Work Committees, Union of Palestinian Women Committees und Health
WorkCommittees. Die Türen zu den Büros wurden aufgebrochen, die Ausrüstung
beschlagnahmt und militärische Anordnungen erlassen, die die gewaltsame
Schließung der NROs im Namen der „Sicherheit in der Region und zur Bekämpfung
einer terroristischen Infrastruktur“ anordneten.

Nach den jüngsten Angriffen auf den Gazastreifen, den tödlichen Übergriffen der
Besatzungsarmee auf palästinensische Städte und den aufeinander folgenden
Verhaftungswellen im Westjordanland und in Jerusalem greifen die israelischen
Behörden erneut Organisationen an, die die Rechte der palästinensischen
Zivilgesellschaft insgesamt schützen.

Israel hat die Büros der NROs genau einen Monat, nachdem die EU-Minister grünes
Licht für die Abhaltung des Assoziationsrates EU-Israel gegeben hatten, überfallen
und geschlossen. Es ist klar, dass Israel gegen diese NROs vorging, obwohl es
wusste, dass der EU-Vorbereitungsprozess für den Assoziationsrat im Gange war.
Die Schließung von Menschenrechts-NROs, ein Markenzeichen autoritärer Regime,
ist ein Verstoß gegen die Grundprinzipien der EU. Die Abhaltung der Tagung des
Assoziationsrates EU-Israel und das Reden über „gemeinsame Werte“, während
Israel damit fortfährt, EU-finanzierte Gruppen zu liquidieren, ist ein Schlag ins
Gesicht der EU. 

All dies geschieht in einer Zeit, in der die De-facto-Annexion fortgesetzt wird, in der
versucht wird, Palästinenser in verschiedenen Teilen des Westjordanlandes zu
verdrängen (z. B. in Masafer Yatta), in der die Zwei-Staaten-Lösung demontiert wird,
in der Palästinenser nach Belieben beschossen und getötet werden, in der die
besetzten palästinensischen Gebiete durch eine neue Visapolitik von der Außenwelt
abgeschnitten werden, in der die Apartheid zementiert wird, in der regelmäßig
bewaffnete Angriffe auf Fischer verübt werden und in der die kollektive Bestrafung
des Gazastreifens fortgesetzt wird. All dies ist eine Missachtung des Völkerrechts
und der Menschenrechte.

Die palästinensischen Menschenrechtsorganisationen, ihre Mitarbeiter:innen, ihre
Aktivist:innen und ihre Büros müssen geschützt werden, damit sie ihre Aufgabe
erfüllen können, die für den Schutz der palästinensischen Bevölkerung und die
Förderung der Sache des Rechts in internationalen Foren absolut unerlässlich ist. In
einem großen Akt der Solidarität haben sich die NROs verpflichtet, die von der
Besatzungsmacht geschlossenen Büros wieder zu öffnen. Doch die
Besatzungstruppen könnten jederzeit zurückkehren.

Dies ist nicht mehr die Zeit für Erklärungen der Besorgnis, und schon gar nicht die
Zeit für die Fortführung besonderer Assoziierungsabkommen. Deutschland muss
gemeinsam mit seinen europäischen Partnern die israelischen Übergriffe gegen
palästinensische Nichtregierungsorganisationen in aller Deutlichkeit verurteilen und
die sofortige Aufhebung der Regierungsdekrete und Militärbefehle fordern, die seit
Oktober 2021 gegen diese Gruppen gerichtet sind.

Die palästinensischen Menschenrechtsgruppen und ihr Engagement für
Menschenrechte und Selbstbestimmung sowie gegen Besatzung, Diskriminierung
und Vertreibung sind eine unentbehrliche Stimme für Frieden und Gerechtigkeit.
Es ist die Aufgabe der Europäischen Union, Menschenrechtsverletzungen, wo immer
sie vorkommen -also auch in Israel-, entschieden entgegenzutreten.
Wir bitten Sie daher nachdrücklich, die Absage des bevorstehenden Treffens des
Assoziationsrates EU-Israel seitens der Mitgliedsstaaten aktiv zu fordern.

Mit freundlichen Grüßen

Marius Stark

Für KoPI